Medikamentöse Epilepsiebehandlung und deren Überwachung
Von Dr. med. Heinrich Vogt; dieser Text erschien in den EPI News Nr. 10,
Juli 2009
Heute stehen uns eine Anzahl verschiedener Antiepileptika zu Verfügung. Die wichtigsten Kriterien für die Wahl eines bestimmten Medikamentes sind Wirksamkeit und Verträglichkeit. Daneben machen aber auch andere Eigenschaften – wie erwünschte Wirkung auf Stimmung und Verhalten, lange Wirkzeiten, keine Wechselwirkung, zusätzlich positive Wirkung auf Begleiterkrankungen – häufig eine individuellere Behandlung möglich. Umstellversuche auf weitere Substanzen sind häufig nötig, haben doch mindestens ein Drittel der Betroffenen weiterhin Anfälle, oder ist dies nötig wegen einer schlechten Verträglichkeit.
Epilepsie ist definiert als Zustand einer erhöhten Anfallsneigung, die verschiedene Ursachen haben kann. Zweck einer medikamentösen Behandlung ist es, das Auftreten der epileptischen Anfälle präventiv zu verhindern. Wirken können die Substanzen daher nur, wenn diese regelmässig in der individuell benötigten Dosis eingenommen werden.
Wirkungsperspektiven
Das Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie hängt im frühen Therapiestadium weniger von der Wahl des einzelnen Medikamentes als vielmehr von der Schwere der vorliegenden Epilepsie ab. Nach einer jüngeren Untersuchung wurden mit Beginn einer Behandlung fokaler Epilepsien mit dem ersten gewählten Antiepileptikum 47% anfallsfrei, bei einem notwendigen Wechsel auf ein zweites Präparat nur noch weitere 13%. Ab der dritten Substanz oder einer Mehrfachtherapie lag die Rate der Anfallsfreien noch bei 4%. 36% erlitten trotz adäquater Therapie weiter Anfälle. Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Wechsel auf ein weiteres Antiepileptikum anfallsfrei zu werden, war höher, wenn Nebenwirkungen, nicht fehlende Wirksamkeit, Ursache für den durchgeführten Wechsel waren. Falls eine Anfallsfreiheit nicht erreicht werden kann, sollte von einer eingesetzten Substanz zumindest eine nennenswerte Reduktion der Anfallshäufigkeit, eine kürzere Anfallsdauer oder eine raschere Erholungszeit erwartet werden.
Nach aktueller Datenlage sind die neuen Medikamente, die seit Anfang der 1990er Jahre zugelassen sind, den älteren in der Wirkung nicht überlegen. Vorteile einiger der neuen Antiepileptika bestehen in deren besserer Verträglichkeit.
Der Vorteil einer Monotherapie
Grundsätzlich sollte immer mit einem Medikament (Monotherapie) begonnen werden und dieses je nach Wirkung ausdosiert werden. Nötige Dosissteigerungen erfolgen bis zum Erreichen des Therapiezieles Anfallsfreiheit oder bis zum Auftreten unerwünschter Wirkungen. Die benötigte und nebenwirkungsfrei vertragene Dosis ist sehr individuell.
Die Art des Aufdosierens, langsam über Tage bei Carbamazepin oder Valproinsäure, langsam über Wochen bei Lamotrigin oder Topiramat, richtet sich nach der initialen Verträglichkeit. In der Praxis wird häufig beobachtet, dass allein mit einer Reduktion einer Mehrfachtherapie und Ausdosieren eines der eingesetzten Medikamente die Anfallssituation wesentlich verbessert werden kann.
Therapiekontrolle
Auf was soll während einer Ein- oder Umstellung geachtet werden? Zur Beurteilung der Wirksamkeit ist das Führen eines Anfallskalenders unerlässlich. Die Häufigkeit der Anfälle oder eine Veränderung in der Zeit des Auftretens können damit rasch erfasst werden. Auch sollte vermerkt werden, ob sich der Anfallsablauf, die Anfallsdauer oder -schwere geändert haben.
Zur Überwachung der Verträglichkeit dienen in erster Linie die Angaben des Betroffenen selbst oder seiner Bezugspersonen. Die Angaben sind immer ernst zu nehmen, da unerwünschte Wirkungen häufig zu einer Verweigerung oder unregelmässigen Einnahme führen, mit entsprechend schlechter Anfallskontrolle.
Nebenwirkungen können vereinfacht in dosisabhängige, idiosynkratische bzw. allergische sowie im Langzeitgebrauch der Medikamente auftretende, eingeteilt werden. Daneben gibt es substanzspezifische Nebenwirkungen wie auch gewünschte Wirkungen.
Dosisabhängige Nebenwirkungen wie z.B. Schwindel, Doppelbilder, Gleichgewichtsstörungen, Sedation bilden sich mit einer Dosisreduktion rasch wieder zurück und entstehen durch eine zu hohe individuelle Dosis oder eine zu rasche Aufdosierung.
Idiosynkratische wie auch allergische Nebenwirkungen sind gefürchteter, treten aber bei den meisten Substanzen sehr bis eher selten auf. Sie manifestieren sich in der Regel innerhalb der ersten 6 Monate nach Behandlungsbeginn und betreffen Haut(-ausschlag), Leber und Blutbildung. Letztere sind der Grund für vermehrte Kontrollen der Blutwerte zu Beginn einer Einstellung. Langzeitnebenwirkungen sind für die alten Antiepileptika bekannt, (noch) nicht für die neuen.
Spezifische Nebenwirkungen
Das Auftreten kosmetischer Störungen wie Hirsutismus (vermehrter Haarwuchs) und Zahnfleischwucherungen sind u.a. Gründe, Phenytoin zu meiden; dasselbe gilt für Phenobarbital wegen möglicher Kontrakturen, Sedation oder Verlangsamung. Benzodiazepine sind schnell und gut wirksame Medikamente in Notfallsituationen, sie sollten wegen der Sedation jedoch nicht als Basismedikamente eingesetzt werden. Gewichtszunahme ist ein häufiges Problem einer Behandlung mit Valproinsäure, Gabapentin oder Prägabalin. Eine gewünschte Gewichtsabnahme kann eine Indikation für den Einsatz von Topiramat sein.
Die alten Antiepileptika begünstigen eine Osteoporose. Kognitive Nebenwirkungen mit Verlangsamung und Konzentrationsstörungen sind vor allem von Phenobarbital- und Benzodiazenpinpräparaten bekannt. Topiramat kann bei einem Teil der Behandelten bereits in tiefen Dosen zu Verlangsamung und Wortfindungsstörungen führen, die ein Absetzen erforderlich machen. Von Lamotrigin ist ein positiver psychotroper Effekt bekannt: Eine begleitende Depression kann mit dem gleichen Medikament behandelt werden. Mit Levetiracetam können Impulskontrollstörungen auftreten, vermehrt kann es zu Verhaltensstörungen speziell bei behinderten Menschen mit einer Epilepsie kommen.
Bestimmungen der Serumkonzentrationen sind sinnvoll zur Kontrolle der Medikamenteneinnahme. In Kombinationstherapien oder beim Wechsel der Substanzen sind sie nötig zur Vermeidung und Aufdeckung von Intoxikationen sowie Vermeidung von Unterdosierung. Die im Labor bestimmten Werte der Wirksubstanz geben Richtlinien für die nötige Dosis. Der jeweilige optimale Serumkonzentrationswert ist, wie bereits erwähnt, individuell sehr verschieden, sowohl was die Wirkung wie auch Nebenwirkungen betrifft.
Besonderheiten bei Menschen mit einer geistigen Behinderung
Menschen mit einer Epilepsie und einer geistigen Behinderung können sehr empfindlich auf neurotoxische Effekte der Antiepileptika reagieren. Da sie häufig nicht oder nur erschwert verbal kommunizieren können, drücken sie unerwünschte Wirkungen als Verhaltensstörungen aus. Eine Vereinfachung der Behandlung, bei der sedierende Substanzen entfernt und eher aktivierende Substanzen eingesetzt werden, führt häufig zu einer deutlichen Besserung auch der Epilepsie. Die zusätzliche Beeinträchtigung durch ungeeignete Medikamente mit sedierenden Eigenschaften wie Barbiturate, Benzodiazepine oder Phenytoin in der Langzeitbehandlung wegen Kleinhirnstörungen, sollte vermieden werden.
Checklisten und weitere Informationsmaterialien zu Epilepsie finden Sie hier.
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Dr. med. Heinrich Vogt
Leitender Arzt Neurologie Klinik Lengg
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